Gewalt gegen Einsatzkräfte – Ergebnisse der Follow-up-Befragung in Niedersachsen
Einsatzkräfte der Feuerwehr sind im Rahmen ihrer freiwilligen Tätigkeit viel zu häufig psychischen Belastungen durch Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen ausgesetzt. Es ist Aufgabe der Prävention, passgenaue Angebote zu machen.
Gewalt gegen Einsatzkräfte ist ein bedeutendes Problem, das sich auch in den Medien stark widerspiegelt. Bereits im Jahr 2020 hat die Feuerwehr-Unfallkasse Niedersachsen Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehren zu ihren Erfahrungen mit Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen und tätlichen Angriffen befragt. Seinerzeit gaben mehr als ein Drittel der Umfrageteilnehmenden an, bereits Erfahrungen mit Gewalt im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit gemacht zu haben. Im Jahr 2023 wurde eine Follow-up-Befragung umgesetzt, um zu erfahren, ob und inwieweit sich die Situation der Einsatzkräfte verändert hat. Die Zahl der Befragten, die angegeben haben, in den vergangenen zwei Jahren Gewaltvorfälle erlebt zu haben, entspricht nahezu dem Ergebnis der Befragung aus dem Jahr 2020. Es bleibt dabei, dass etwa ein Drittel der befragten Einsatzkräfte Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen oder sogar tätlichen Angriffen ausgesetzt ist. Schaut man genauer hin, so sind jedoch bei einzelnen Formen von Gewalt Veränderungen erkennbar – leider keine positiven. So hat zum Beispiel die Häufigkeit verbaler Angriffe erkennbar zugenommen.[1]
Große Stichprobe lässt eindeutige Trends erkennen
Die Feuerwehr-Unfallkasse Niedersachsen hat bereits im Jahr 2020 eine erste Umfrage zur Thematik Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen oder tätlicher Angriffe unter den aktiven Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehren durchgeführt. Durch die Follow-up-Befragung im Jahr 2023 sollte herausgefunden werden,
- wie stark und in welcher Form die Freiwilligen Feuerwehren in Niedersachsen aktuell von dieser Problematik betroffen sind,
- welche Veränderungen in Bezug auf die Umfrageergebnisse aus 2020 festzustellen sind und
- welche Angebote sich die Freiwilligen Feuerwehren wünschen (etwa Unterstützung, Fortbildungen).
Betrachtet man die beiden Befragtengruppen aus den Jahren 2020 sowie 2023, lässt sich feststellen, dass die Stichproben hinsichtlich der Geschlechter- und Altersverteilung sowie der aktiven Zeit in der Freiwilligen Feuerwehr vergleichbar und nah an der tatsächlichen Verteilung in den Feuerwehren sind. Die Häufigkeit, mit denen die Kameradinnen und Kameraden in den vergangenen zwei Jahren an Einsätzen teilgenommen haben, unterscheidet sich ebenfalls nicht wesentlich zwischen den beiden Befragungen. Mit einer Gesamtzahl von fast 4.000 Befragten über beide Umfragen hinweg ist die Stichprobe sehr groß.
Der Begriff „Gewalt und Belästigung“ in der Arbeitswelt im Sinne des ILO-Übereinkommens Nummer 190 wird definiert als „eine Bandbreite von inakzeptablen Verhaltensweisen und Praktiken oder deren Androhung, gleich ob es sich um ein einmaliges oder ein wiederholtes Vorkommnis handelt, die auf physischen, psychischen, sexuellen oder wirtschaftlichen Schaden abzielen, diesen zur Folge haben oder wahrscheinlich zur Folge haben, und umfasst auch geschlechtsspezifische Gewalt und Belästigung“.
Ein massives Alltagsproblem
Das Ergebnis der Befragung zeigt: Wie bereits im Jahr 2020 war auch in der Follow-up-Befragung 2023 circa ein Drittel der befragten Einsatzkräfte in den vergangenen zwei Jahren von Gewalt betroffen. Es handelt sich demnach um ein massives Problem, das – leider – zum Einsatzalltag der Feuerwehrkräfte dazugehört. Dabei hat vor allem die verbale Gewalt zugenommen: Beleidigungen und Beschimpfungen sind von rund 70 auf 88 Prozent angestiegen. Einschüchterung und Bedrohung mit Worten sowie Gesten haben im Vergleich 2020 zu 2023 um fast 10 Prozent zugenommen (von 20 Prozent auf 29,5 Prozent). Ebenso sind Beleidigungen und Beschimpfungen über die sozialen Medien häufiger erlebt worden. Die Zahlen zeigen einen Anstieg von drei auf 17 Prozent, jeweils bezogen auf die vergangenen zwei Jahre.
Anders als die Ereignisse vermuten lassen, die sich unter anderem zur Silvesternacht in Berlin und in anderen Großstädten abgespielt haben und in den medialen Fokus gerückt sind, zeigt sich jedoch in beiden Befragungen, dass die typischen Gewaltvorfälle kein Gruppenphänomen sind, sondern in der Mehrzahl von Einzeltätern und -täterinnen begangen werden. Ein weiterer überraschender Aspekt ist das Ergebnis, dass Alkoholkonsum nicht als bedeutsamer Auslöser von gewalttätigen Situationen zu werten ist. Dies hat sich bereits in der Befragung im Jahr 2020 gezeigt und wurde in der Follow-up-Befragung bestätigt. Nur knapp 15 Prozent der befragten Einsatzkräfte gaben an, dass der Täter oder die Täterin erkennbar unter Alkoholeinfluss stand.
Nach den Rückmeldungen der ersten Befragung wurde der Fragenkatalog erweitert. So wurde eine Frage hinzugefügt, die vor allem mit Absperrungen im Straßenverkehr zusammenhängt. In diesem Zusammenhang haben 31,3 Prozent der befragten Personen angegeben, dass ihnen schon einmal angedroht wurde, sie anzufahren. Immerhin sechs Prozent der Einsatzkräfte haben es erlebt, tatsächlich auch angefahren worden zu sein. Eine ebenfalls neue Kategorie erfasst Verweigerungen, das Sichwidersetzen oder fehlende Kooperation im Rahmen von Einsätzen. Diese Erfahrungen, die das Arbeiten deutlich erschweren, geben immerhin fast 56 Prozent der Einsatzkräfte bezogen auf die vergangenen zwei Jahre an. Aufgrund der Kommentare im Jahr 2020 wurde die Umfrage auch um die Kategorie „Bewerfen mit Feuerwerkskörpern“ ergänzt. Rund zehn Prozent der Befragten im Jahr 2023 haben rückgemeldet, diese Situation bereits erlebt zu haben – und zwar nicht nur zu Silvester.
Doch es gibt auch positive Veränderungen. Diese zeigen sich zum Beispiel im Meldeverhalten der Einsatzkräfte. Gaben im Jahr 2020 noch 51,5 Prozent der Befragten an, den am schlimmsten empfundenen Vorfall ihrer Führungskraft gemeldet zu haben, so sind es im Jahr 2023 immerhin schon 78,4 Prozent. Und die Quote derer, die solche Vorfälle der Polizei oder ihrer Gemeinde melden, hat sich verdoppelt. Das zeigt, dass das Bewusstsein wächst, solche belastenden Ereignisse nicht einfach hinnehmen zu müssen.
Resümee
Die Zahl erlebter Gewaltvorfälle gegen Einsatzkräfte bleibt zu hoch. Feuerwehrmitglieder sind im Rahmen ihrer freiwilligen Tätigkeit viel zu häufig psychischen Belastungen durch Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen ausgesetzt.
Die Feuerwehr-Unfallkasse Niedersachsen sieht es als einen Teil ihres Präventionsauftrags, diesen Belastungen entgegenzuwirken, und unterbreitet daher passgenaue Angebote wie zum Beispiel praxisnahe und zielgruppenspezifische Deeskalationsseminare.
Die thematischen Kampagnen „#schlussdamit“ des Landesfeuerwehrverbandes Niedersachsen und der Polizei Niedersachsen, „#GewaltAngehen“ der DGUV sowie „Zusammen für mehr-respekt.de“ des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) sind zudem wichtige Signale, um auch öffentlichkeitswirksam auf die Problematik aufmerksam zu machen und den Stellenwert der Einsatzkräfte in der Gesellschaft zu stärken.
Literatur
ILO (2019). Internationale Arbeitskonferenz (Hrsg.): Übereinkommen 190, Übereinkommen über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt, Genf: ILO.